"Schwarze Rosen"

Begonnen von Harry, 16. November 2005, 18:01:40

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Harry

Schwarze Rosen

1. Kapitel:



Mac Gyver durchquerte die Eingangshalle der Phoenix Foundation und lief zu den Fahrstühlen. Er hatte sich gerade am Empfangsbereich eingetragen und war nun auf dem Weg in das Büro von Peter Thorton, dem Direktor dieser Organisation. Er hatte Glück. Er brauchte nicht lange auf einen Fahrstuhl zu warten. Ein klingelnder Ton kündigte die Ankunft einer Kabine an. Die Türen öffneten sich und einige Leute eilten heraus. Er betrat den Fahrstuhl und nachdem er die Taste für das gewünschte Stockwerk gedrückt hatte, schlossen sich die Türen. Er war allein. Er gähnte ausgiebig und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen die verspiegelte Wand.
>Einen Tag ausschlafen, nach meinem letzten Auftrag, hat wohl doch nicht gereicht<, dachte er und gähnte nochmals. >Ich bräuchte dringend mal wieder Urlaub. Ich könnte fischen gehen, oder...<
Bevor er jedoch seinen Gedankengang zu ende führen konnte, ertönte erneut der klingelnde Ton und die Türen des Fahrstuhls öffneten sich. Er trat hinaus auf einen Gang.
Einige Mitarbeiter der Denkfabrik, wie die Phoenix Foundation auch genannt wurde, kamen ihm entgegen. Hier und da grüßte er jemanden, den er vom sehen kannte. Schließlich ging er durch eine sich automatisch öffnende Tür und betrat das Vorzimmer von Peter Thortons Büro. Er blinzelte verwundert als er eine ihm unbekannte Frau hinter dem hölzernen Schreibtisch sah, an dem normalerweise Thortons Sekretärin saß, die er mittlerweile recht gut kannte. Die junge Frau, mit dem kurzen schwarzem Haar, stand gebeugt über dem Schreibtisch und wühlte hektisch in irgendwelchen Papieren.  
"Guten Morgen.", grüßte Mac Gyver sie freundlich, aber auch etwas neugierig.
Aufgeschreckt hob sie ihren Kopf und zwei sehr dunkle Augen blickten ihn überrascht an. Sie lächelte ihn offen an. "Guten Morgen. Kann ich etwas für sie tun?"
"Mein Name ist Mac Gyver. Ich wollte zu Mr. Thorton."
"Ach ja, ich glaube er hat sie erwähnt.", erwiderte sie freundlich. "Doch im Moment hat er noch eine Besprechung. Aber ich denke, dass es nicht mehr all zu lange dauern wird. Wenn Sie solange warten wollen?"
"Kein Problem. Wo ist denn Helen abgeblieben?"
"Sie meinen Mr. Thortons eigentliche Sekretärin?"
Er nickte.
"Dumme Geschichte," sie verzog für einen Moment ihr Gesicht, "sie hatte einen Autounfall und dabei ein Schleudertrauma erlitten."
"Wie schlimm ist es?", wollte er besorgt wissen.
"Sie ist schon wieder Zuhause, aber der Arzt hat ihr strikte Bettruhe verordnet. Was ja auch vernünftig ist. Und weil Helens eigentliche Vertretung derzeit jemand anderen vertritt, spiele ich hier momentan die Sekretärin."
Mac Gyver grinste als Antwort. Er hatte das Gefühl, dass ihr der Job nicht unbedingt zusagte. Er wollte ihr gerade eine weitere Frage stellen, als die Tür von Thortons Büro geöffnet wurde und zwei Männer sprechend heraustraten. Der untersetzte Mann mit der fast vollständigen Glatze war Peter Thorton. Er war Mac Gyvers Chef und zugleich bester Freund. Der Herr an Thortons Seite war Mac Gyver unbekannt. Dieser trug sein  dunkelbraunes Haar sehr kurz, war etwa so groß wie Mac Gyver, also etwas über 1 Meter 80, und schien sehr sportlich zu sein. Sein schwarzer Anzug wirkte wie maßgeschneidert. Frauen hätten ihn wahrscheinlich als attraktiv empfunden.
Doch Mac Gyver waren diese Anzug-Typen niemals sonderlich sympathisch gewesen.
Mac Gyver rügte sich in Gedanken selbst: >Seit wann hast du solche Vorurteile?<
Die beiden Männer verabschiedeten sich mit einigen Worten und einem kurzen Händedruck. Danach nickte der Unbekannte der Sekretärin und ihm kurz zu und verließ den Raum. Mac Gyver sah ihm nach. Doch noch bevor er weiter über den Unbekannten nachdenken konnte, kam Thorton auf ihn zugeeilt und gab ihm die Hand.
"Hallo Mac, komm doch rein."
"Hallo Pete."
Thorton wandte sich an die Sekretärin: "Bitte im Moment keine Anrufe, Karen."
"Alles klar." Sie hatte nur kurz aufgesehen und widmete sich dann sofort wieder ihrem Papierstapel.
Mac Gyver folgte Thorton in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Pete, wie er von seinen Freunden genannt wurde, nahm hinter einem dunklen, wuchtigen, hölzernen Schreibtisch Platz und Mac Gyver ließ sich auf einen der zwei Stühlen davor nieder.
"Wer war denn das da eben?", wollte Mac Gyver wissen.
"Ein neuer Mitarbeiter, er kommt in die Auslandsabteilung und wird dort verschiedene Aufgaben übernehmen. Sein Name ist Goodwell."
"Aha.", war Mac Gyvers Kommentar, wechselte aber daraufhin das Thema. "Weshalb hast Du mich nach einem Tag Pause hierher zitiert?"
Thorton zog kurz die Augenbrauen hoch und zeigte ihm seine Handinnenflächen. "Tut mir leid, dass ich dich so schnell wieder benachrichtigen musste, aber es ist enorm wichtig."
Mac Gyver seufzte. "Das ist es immer." Er sah Thorton an. "Worum geht es?"
Thorton öffnete eine Schublade seines Tisches und holte eine Akte hervor. Er wusste, dass Mac Gyver Papierkram nicht ausstehen konnte, deshalb machte er keine Anstalten ihm die Akte hinüber zu reichen. Er  benötigte sie selbst nur als Informationsquelle. Er schlug den Aktendeckel auf.
"Es handelt sich um eine heikle Sache und ich hoffe, du nimmst den Auftrag an. Denn ich möchte möglichst nur dir diese Angelegenheit anvertrauen."
Mac Gyvers Neugierde war geweckt. "Schieß los, Pete."
"Es geht um eine neue Terroistengruppe, die erst vor kurzem im Nahen Osten aufgetaucht ist. Sie nennen sich übersetzt die Schwarze Rose."
"Ein seltsamer Name," warf Mac Gyver ein, "ich habe noch nie was von dieser Gruppe gehört."
"Wie gesagt, sie ist neu. Es wird vermutet, dass sie eine Splittergruppe der Hamas ist, aber das ist nur spekulativ." Thorton blätterte in der Akte. "Jedenfalls ist sie wohl für einige Anschläge im Nahen Osten verantwortlich und es scheint, dass sie nun bis in die USA vorgedrungen sind."
"Gibt es Anzeichen für geplante Anschläge?"
Thorton schüttelte den Kopf. "Bisher noch nicht. Wir glauben eher, dass sie versuchen werden hier Waffen zu kaufen."
"Erlaube mir eine kurze Zwischenfrage,", unterbrach ihn Mac Gyver. "Was hat die Phoenix Foundation mit dieser Sache zu tun? Dafür gibt es doch die Polizei oder Anti-Terror-Einheiten."
"Natürlich. Die sind auch schon dran. Wir sind lediglich als wissenschaftliche Berater hinzugezogen worden. Wir sollen herausfinden, welche Art von Waffen diese Terroristen benötigen und wie sie beim Erwerb vorgehen könnten. Ein Team von uns ist bereits bei der Analyse."
Mac Gyver sah ihn irritiert an. "Und wozu brauchst du mich dann?"
"Ich brauche dich für das drum herum. Durch unsere Analysen sind wir bereits auf einen Mann gestoßen, der ein potentieller Waffenschieber sein könnte."
"Wieso hast du das denn nicht den zuständigen Behörden mitgeteilt?"
Thorton machte eine Geste des Unverständnisses. "Das habe ich ja! Aber die Indizien waren ihnen zu Fadenscheinig."
"Was heißt das?"
Thorton zog einige aneinander geheftete DIN A4 Blätter aus der Akte und reichte sie Mac Gyver. Oben auf war ein schwarz-weiß Foto mit einer Büroklammer befestigt. Darauf war in Nahaufnahme ein älterer Mann in einem dunklen Abzug abgebildet. Die Aufnahme schien ohne Wissen des Mannes gemacht worden zu sein, denn er stieg gerade aus einem Auto.
Thorton deutete auf das Foto. "Der Mann heißt Simon Smith. Ihm gehört eine Firma, die sich zum größten Teil mit der Entwicklung von Mikrochips beschäftigt."
"Und wie kommst du darauf, dass er was mit Waffenhandel zu tun hat?"
"Er stellt unter anderem auch Mikrochips für die Leitsysteme von Boden-Boden- und Boden-Luft-Raketen für unser Militär her. Jetzt hat sich der Verdacht erhärtet, dass er einiges mehr herstellt, um sich ein Zubrot zu verdienen. Und so versorgt er anscheinend die Terroristen mit Chips, um ihre Raketenleitsysteme auszurüsten."
"Da klingt fast so als ob sie ihre Raketen als Einzelteile kaufen und sie anschließend wie ein Puzzle zusammensetzen würden.", warf Mac Gyver ein. "Kommt mir irgendwie bekannt vor."
"So wie es aussieht hast du damit völlig recht. Doch die Mikrochips sind das wichtigste. Ohne die sind die Raketen praktisch wertlos."
Mac Gyver musterte das Gesicht des Mannes auf dem Bild. "Also müssen wir nur Mr. Smith daran hindern diese Chips an die Schwarze Rose oder an irgend jemanden zu verkaufen. Aber wieso bist du so sicher, dass dieser Mensch diese Chips illegal verkauft?"
"Wir haben routinemäßig sämtliche Firmen überprüft, die in irgendeiner weise etwas mit Waffen zu tun haben und dabei sind wir bei Smith Systems Technologies Inc. auf Ungereimtheiten gestoßen."
"Wie hast Du ihn denn ohne Hilfe der Polizei überprüfen können? Normalerweise braucht man dafür doch eine richterliche Genehmigung."
"Wir haben erweiterte Befugnisse erhalten, ohne die wir ansonsten diese Untersuchungen gar nicht durchführen könnten. Allerdings...," Thorton unterbrach sich selber und kratzte sich am Kopf, "allerdings ist Willis ein wenig über diese Befugnisse hinausgegangen."
Mac Gyver musste grinsen. "Na sowas." Bei Willis - dem Computer-Genie der Foundation - wunderte ihn das nicht. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er nicht zu bremsen.
Ohne auf die Bemerkung einzugehen, setzte Thorton fort: "Willis hat Einblick auf Smiths Kontoführung  erhalten - sowohl die Geschäftlichen als auch die Privaten. Dabei hat er Konten entdeckt, die zwar unter anderem Namen geführt werden, wohl aber eindeutig Smith zu zuordnen sind."
"Aber ihr könnt es ihm nicht genau nachweisen und die gefundenen Indizien würden als Beweise nie anerkannt," schloss Mac Gyver.
"Du hast es erfasst. Aber das ist nicht das einzige, das wir entdeckt haben. Er hat hier in den Staaten zwar eine weiße Weste, in den arabischen Staaten ist er jedoch bekannt. Er soll an verschiedenen illegalen Aktivitäten beteiligt gewesen sein. Natürlich unter falschem Namen und er hat Mittelsmänner eingesetzt. Er ist selbst nie bei Verkäufen persönlich anwesend gewesen. Wenn es zu Verhaftungen kam, wurden nur die Mittelsmänner verhaftet und die wussten selber nicht wie ihr Boss nun eigentlich aussah beziehungsweise wer er überhaupt war. Doch wenn wir jede Spur verfolgen, steuert man unweigerlich in seine Richtung. Er ist bisher so geschickt vorgegangen, dass es niemand wagte auch nur einen Verdacht gegen Smith zu äußern."
Mac Gyver rieb sich mit einer Hand durch das Gesicht. "Bis dahin ist alles klar, aber ich verstehe immer noch nicht warum du ihn speziell in Verdacht hast. Ich meine, es gibt sicherlich einige Firmen in den USA die solche Chips für die Leitsysteme herstellen."
Thorton lehnte sich in seinen Stuhl zurück. "Das mag sein, doch in letzter Zeit haben wir verstärkt Aktivitäten in seiner Umgebung festgestellt. Es werden Leute eingestellt, die offiziell nicht auf der Gehaltsliste von Smith Systems Technologies Inc. stehen. Es wurden mehr Rohstoffe gekauft, etc."
Mac Gyver sah Thorton etwas ungläubig an. "Vielleicht hat der Mann nur eine größere Auftragslage."
Thorton lehnte sich ein Stück nach vorne. "Nein, eben  nicht."
Mac Gyver´s Reaktion war ein Augenbrauenzucken, dann sagte er: "Na schön Pete. Was erwartest Du jetzt von mir?"
"Ich möchte, dass Du Dich an Smiths Fersen hängst und versuchst Beweise für unsere Vermutungen zu finden," antwortete Thorton eindringlich. "Wenn ich mich geirrt haben sollte, dann entschuldige ich mich. Aber wenn ich recht habe, haben wir einen der gefährlichsten Waffenlieferanten in unserem eigenen Land, der nicht mal davor zurück schrecken würde sie zu verkaufen, wenn er wüsste, dass die Waffen eventuell gegen sein eigenes Land eingesetzt würden."
"Schon klar, Pete. Ich werde es tun."
Thorton atmete erleichtert auf. Er wusste, dass er seinem Freund damit eigentlich viel zumutete, war Mac Gyver doch gerade von einem schwierigen Auftrag aus dem Ausland heim gekehrt. Und er wusste, dass er jederzeit ablehnen konnte, da er nur freier Mitarbeiter war.
"Danke Mac. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann."
Mac Gyver zuckte gelassen mit den Schultern. "So bin ich nun mal." Er stand auf und griff sich die Akte auf Thortons Tisch. "Ich werde als erstes mal ein paar Informationen über diesen Smith und seine Firma sammeln."
"Sehr gut." Thorton fühlte sich enthusiastisch, er wusste, dass er mit Mac Gyver den richtigen Mann für die Sache hatte.

Harry

2. Kapitel:


Mac Gyver öffnete die Tür von Thortons Büro, um es zu verlassen. Da nahm er aus dem Augenwinkel einen Schatten wahr, der sich rasch von der Tür entfernte. Er trat durch die Tür ins Vorzimmer und sah die Sekretärin Karen an ihrem Schreibtisch sitzen. Sie blätterte in einer Akte herum und schien konzentriert zu lesen. Doch irgendwie kam ihm diese Szene äußerst gestellt vor. War sie der Schatten, den er wahr genommen hatte? Aber was hatte sie an der Tür verloren gehabt? Und wieso die Heimlichtuerei? Hatte sie etwa gelauscht? Ohne Karen aus den Augen zu lassen ließ er die Tür etwas laut ins Schloss fallen. Unwillkürlich zuckte sie zusammen und schaute auf.  
"Oh hallo, ist die Besprechung beendet, ja?" Sie lächelte. Lächelte sie nervös? Er konnte es nicht genau einschätzen. Vielleicht wurde er auch nur paranoid.
"Ja, wir sind fertig." Mac Gyver erwiderte ihr Lächeln.
"Gut, dann kann ich ihm ja das hier rein bringen." Sie erhob sich und nahm eine Aktenmappe von ihrem Tisch. "Kann ich sonst noch was für Sie tun?"
"Oh, nein danke. Ich werde jetzt gehen. War nett sie kennenzulernen."
"Ganz meinerseits. Wiedersehen." Sie lächelte noch einmal kurz und ging dann auf Thortons Bürotür zu.
"Wiedersehen." Mac Gyver sah ihr nach. Dann schüttelte er seinen Kopf. >Ich werde wirklich langsam paranoid.< Er verließ Thortons Räumlichkeiten und beschloss als erstes den Computer-Raum der Phoenix-Foundation aufzusuchen. Wenn er Glück hatte, würde er Willis dort vor finden und konnte mehr aus erster Hand über seinen neuen Auftrag erfahren. Er konnte sich nicht helfen, aber er hatte das Gefühl, dass ihm Thorton irgendetwas verheimlichte. Was jedoch sehr ungewöhnlich für ihn war, denn eigentlich würde jeder von ihnen dem anderen sein Leben anvertrauen. Er wischte den Gedanken fürs erste beiseite. Wahrscheinlich täuschte er sich einfach.

Karen hatte die Tagespost zu Peter Thorton gebracht. Jetzt stand sie wieder an ihrem Arbeitsplatz und ließ sich in den Bürostuhl fallen. Sie atmete tief durch, um ihr immer noch pochendes Herz zu beruhigen. Die Tagespost war nicht wirklich wichtig gewesen, doch sie brauchte einen Vorwand, um den neugierigen Blicken dieses Mac Gyvers zu entgehen. Beinahe hatte er sie erwischt, als sie ihr Ohr an die Tür von Thortons Büro gelegt hatte, um zu hören was dort im Raum zwischen den beiden besprochen wurde. Es war so interessant gewesen, dass sie jegliche Vorsicht vergessen hatte. Sie griff nach einem Stück Papier und begann alles aufzuschreiben, was sie noch von diesem Gespräch behalten hatte. Nachdem sie alles zu Papier gebracht hatte, überflog sie es noch einmal und lächelte zufrieden.
"Sehr gut.", lobte sie sich selbst. Als sie hörte, dass jemand den Gang entlang kam, ließ sie den Zettel schnell unter ein paar Papieren auf ihrem Schreibtisch verschwinden. Eine Kollegin, die schließlich den Raum betrat, hatte nichts von ihren hektischen Bewegungen mitbekommen.
Karen setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. "Guten Morgen, Linda. Was gibt es?"
"Hallo Karen." Die junge blonde Frau, die Karen nur mit stets hochgesteckten Haaren kannte, reichte ihr verschiedene Mappen. "Das sind die Unterlagen die Mr. Thorton aus der Logistik-Abteilung haben wollte."
"Ah ja, danke." Karen nahm sie entgegen. "Mr. Thorton hat schon drauf gewartet."
"Gut.", erwiderte Linda. "Sehen wir uns heute in der Mittagspause?"
"Klar." Karen lächelte sie an. "So gegen ein Uhr?"
"Sehr gut." Linda wandte sich zum gehen. "Bis später dann."
"Bis nachher." Karen erhob sich sofort, klopfte kurz an Thortons Bürotür und trat ein.
Thorton stand neben seinem Schreibtisch und hielt einen Golfschläger in der Hand. Mit diesem stieß er leicht gegen einen Golfball und versuchte ihn in einen Pappbecher zu stoßen, der ihm das Loch ersetzte. Der Ball ging daneben.
Thorton stützte eine Hand an die Hüfte. "Oh, sie haben mich aus dem Konzept gebracht, Karen."
Karen zog ihre dichten Augenbrauen hoch. "Tschuldigung." , das klang alles andere als ehrlich.
Thorton sah auf. "Was gibt es denn?"
"Hier sind die Akten aus der Logistik-Abteilung, die sie angefordert haben."
Thorton trat einige Schritte auf sie zu. "Ah, sehr gut." Er nahm sie entgegen.
Statt zu gehen, blieb Karen stehen und sah nachdenklich aus.
Thorton bemerkte es und fragte deshalb: "Was gibt es denn noch?"
"War das eben der Mac Gyver von dem hier so viel geredet wird? Der Mac Gyver, der all diese Tricks drauf hat und in der Foundation mal eine Bombe entschärfte?" Sie sah ihn fragend an.
Thorton lachte leise. "Ja, genau das ist er."
Sie legte ihren Kopf schief.
"Was ist denn?", wollte Thorton wissen.
"Mhh, ich weiß nicht, aber irgendwie habe ich ihn mir größer vorgestellt."
Thorton lachte abermals. "Lassen Sie sich nicht zu sehr von dem Gequatsche beeinflussen. Er ist ein wirklich netter Kerl."
"Wenn sie es sagen, Sir."
Immer noch lachend, griff er nach einer Aktenmappe, die auf seinem Schreibtisch lag.
"Hier, vertreten sie sich doch ein wenig die Füße und bringen sie das Mr. Goodwell. Er benötigt das für seine Recherche. Er müsste sich in unserem Computerraum aufhalten."
"Okay." Sie nahm die Mappe entgegen und verließ dann den Raum.
Draußen murmelte sie vor sich hin: "Tzz, ich hätte auch gerne Zeit bei der Arbeit Golf zu spielen." Schließlich zuckte sie mit den Schultern. "Was solls, ich kann Golf sowieso nicht ausstehen."
Sie begab sich sofort auf den Gang in Richtung Computer-Raum. Sie war dankbar für diese Abwechslung, denn das ständige Sitzen an einem Schreibtisch lag ihr gar nicht. Sie war allein auf dem Gang.
>Welch willkommene Gelegenheit,< dachte sie.
Sie schlug die Mappe auf, die für Mr. Goodwell bestimmt war. Vielleicht hatte der Inhalt ja was mit der Sache Schwarze Rose zu tun. Schon das erste Blatt bestätigte dies.
"Bingo," stieß sie leise aus. Schwarze Rose stach ihr vom Deckblatt direkt in die Augen. Hastig blätterte sie die Akte durch. Doch zu ihrer Endtäuschung waren darin nur wenige Angaben festgehalten. Es ging lediglich um die logistischen Wege der Firma Smith Systems Technologies Inc. in verschiedene arabische Staaten. Wahrscheinlich sollte dieser Goodwell die vorhandenen Daten nur erfassen. Thorton traute ihm wohl nicht. Warum sollte er auch? Immerhin war er neu in der Foundation.
Sie legte die Papiere wieder ordentlich in die Mappe zurück und betrat schließlich den Computer-Raum. Dort war geschäftiges Treiben. Fast jeder Platz war besetzt. Sicherlich hätte jeder von seinem PC im Büro aus arbeiten können, doch für bestimmte Arbeiten wurden Hochgeschwindigkeitsrechner gebraucht, die nur in diesem Raum zu finden waren. Karen fand es immer wieder faszinierend, wenn Willis mal wieder irgendetwas neues und verrücktes an Programmen konzipiert hatte.
"Solange er uns nicht das System völlig lahm legt.", hatte sie Thorton einmal sagen gehört. Doch Willis war nirgendwo zu sehen. Goodwell hatte sie jedoch rasch entdeckt. Er saß nur ein paar Schritte von der Tür entfernt, ganz rechts außen. Es schien als wolle er sich etwas abseits von den anderen halten.
>Wenn man neu ist, ist einem das wohl lieber,< mutmaßte Karen in Gedanken. Erst jetzt fiel ihr auf, dass dieser Goodwell recht attraktiv war. Er hatte ein markantes Gesicht, eine sportliche Figur und stechend blaue Augen. Fast schon zu perfekt. Langsam ging sie auf den konzentriert arbeiteten Goodwell zu. Er bemerkte sie nicht einmal, als sie schon neben ihm stand. Zuerst wollte sie ihm über die Schulter schauen, um zu sehen woran er gerade arbeitete. Doch da sie nicht unhöflich erscheinen wollte, unterdrückte sie ihre Neugierde. Statt dessen räusperte sie sich kurz und sagte: "Guten Tag, Mr. Goodwell."
Etwas erschrocken sah er zu ihr auf, doch dann lächelte er sofort. "Ah, sie sind doch die junge Dame, die Mr. Thorton bei seiner Arbeit unterstützt."
Sie fühlte sich etwas geschmeichelt, dass er sie nicht, wie andere üblicherweise, einfach als Sekretärin bezeichnete, sondern sie eher als Assistentin sah.
"Genau. Ich wollte ihnen diese Akte vorbei bringen. Mr. Thorton dachte wohl, dass Sie sie benötigen."
"Oh, vielen Dank. Das ist sehr freundlich." Seine blauen Augen strahlten sie förmlich an.
Sie lächelte. "Kein Problem. Woran arbeiten sie gerade? Wenn Sie die Frage gestatten."
"Oh, es geht um einen Auftrag, den ich erhalten habe. Ich muss dafür ein paar Informationen auswerten."
"Aha." Sie beugte sich zum Bildschirm seines PCs hinunter. "Kann ich ihnen dabei irgendwie behilflich sein?"
"Nein, ich bin schon fertig.", er klang hektisch. "Ich muss das nur noch schnell speichern." Er betätigte hastig die Maus und schloss die geöffneten Dateien.
>Wieso hat er es denn so eilig?>, fragte Karen sich. >So erhalte ich nie Informationen!< Innerlich seufzte sie.
Nachdem Mr. Goodwell eine Diskette aus dem Laufwerk des PCs entfernt hatte, wandte er sich wieder zur ihr um. "Ich kenne nicht einmal Ihren Namen."
"Oh, ich habe versäumt mich vorstellen. Meine Name ist Karen Mind.."
"Freut mich. Ich bin Gordon Goodwell, meine Freunde nennen mich einfach Gordon." Er reichte ihr seine Hand.
>Ich bin aber nicht dein Freund.<, dachte Karen. Doch laut sagte sie: "Freut mich auch." Und gab ihm ebenfalls die Hand.
Er sah auf seine Armbanduhr. "Oh, schon wieder so spät. Ich habe noch einiges zu tun. War nett mit ihnen zu plaudern, aber leider muss ich jetzt weiter. Ich muss noch diese Infos weiter geben. Vielleicht sehen wir uns demnächst mal wieder."
"Bestimmt.", erwiderte sie. >Idiot, natürlich sehen wir uns, wir arbeiten zur Zeit ja in der selben Abteilung - mehr oder weniger.<
"Also, bis dann." Er griff nach einer Akte auf dem Tisch und verließ den Computer-Raum.
>Na toll,< dachte Karen, >von dem konnte ich jetzt auch nichts erfahren.< Sie sah sich ratlos um. In dem Moment betraten Mac Gyver und Willis durch eine andere Tür den Raum. Sie unterhielten sich. Mac Gyver hielt eine Akte in den Händen.
>Hah, vielleicht erhalte ich dort mehr Informationen.< dachte sich Karen. Doch direkt auf die Beiden zu zulaufen, erschien ihr auffällig. Deshalb schlenderte sie durch die Computer-Reihen  immer weiter auf Mac Gyver und Willis zu. Kurz bevor sie die beiden Männer erreicht hatte, hatte Mac Gyver sie entdeckt.
"Hallo. Was machen Sie denn hier? Gerade Pause?" Er lächelte sie an.
Karen tat überrascht. "Oh Hallo Mr. Mac Gyver, Hallo Willis. Nein, ich habe nur Mr. Goodwell eine Akte gebracht und dann beschlossen noch etwas zu bleiben. Es ist hier immer so interessant."
"Ah ja." , erwiderte Mac Gyver.
"Wo ist denn unser Neuling - ich meine natürlich Mr. Goodwell.", fragte Willis etwas überschwenglich.
"Och, der hat eben den Raum verlassen." Karen zeigte zur Ausgangstür. "Er hatte es ziemlich eilig."
"Tzz, von Zusammenarbeit hält der wohl auch nicht viel." Willis klang zynisch.
"Hey, wahrscheinlich muss er erst mal ein Gefühl für seine Umgebung entwickeln.", entgegnete Mac Gyver. "Immerhin ist es sein erster Tag."
"Wenn du meinst." Willis klang nicht so überzeugt. "Laß uns jetzt die Daten auswerten, damit wir fertig werden. Ich hab nämlich heute noch was vor."
"Aha, wer ist den die Glückliche?" Mac Gyver grinzte ihn an.
"Die Glückliche heißt Lara Croft." Willis hatte einen schwärmerischen Ausdruck in den Augen.
Karen zog eine Augenbraue hoch. "Mit dieser virtuellen Lady kann natürlich keine reale Frau konkurrieren."
"Hast du nicht noch was zu tun, Karen?" Willis stützte die Hände an die Hüfte und sah sie an.
Karen musste lachen. "Schon gut. Ich muss wieder ins Büro zurück." Sie wollte schon gehen, das wandte sie sich noch mal an Mac Gyver. "Ach, brauchen sie die Akte noch?"
Er sah sie etwas irritiert an.
"Ich meine nur, wenn nicht, dann könnte ich sie wieder mit ins Büro nehmen und sie bräuchten sie nicht mit sich herum zu schleppen." Sie lächelte ihn unverfänglich an und hoffte, dass diese Ausrede überzeugte.
"Oh ja, das ist eine sehr gute Idee." Mac Gyver war froh, dass ihm endlich jemand dieses Ding abnahm. Diese Akte hätte er wahrscheinlich sowieso irgendwann irgendwo liegen lassen. "Ich brauche sie im Moment wirklich nicht mehr."
"Kein Problem, ich nehme sie gerne mit." Sie nahm ihm die Akte ab. "Bis später dann."
"Bis später.", grüßte er zurück und folgte Willis zu einem der Computer.
Karen verließ zügig den Raum und begab sich auf direktem Weg zurück in ihr Büro. Sie brannte darauf nachzulesen, was in dieser Akte stand.

Als sie wieder hinter ihrem Schreibtisch saß, schlug sie den Aktendeckel auf. Kurz zuvor hatte sie sich bei Thorton zurück gemeldet und sich vergewissert, dass er zur Zeit ihre Dienste nicht benötigte. Als erstes stach ihr das Foto eines älteren Mannes, der gerade aus einem Auto stieg, entgegen. Aus den angehefteten Blättern erfuhr sie, dass es sich dabei um einen gewissen Simon Smith handelte, dem eine Mikrochips-Firma namens Smith System Technologies Inc. gehörte. Fasziniert erfuhr sie, dass er indirekt verdächtigt wurde, Waffen beziehungsweise Mikrochips für Waffen an Terroristen, insbesondere der Schwarzen Rose, zu verkaufen. Sie machte sich verschiedene Notizen. Zum Schluss nahm sie sich das Foto von Smith nochmals vor. Sie konnte sich nicht helfen, aber irgendwie kam ihm sein Gesicht bekannt vor. Grübelnd legte sie sich in ihrem Stuhl zurück und besah sich das Bild. Es dauerte nur einige Sekunden bis es ihr wieder einfiel.
"Ja, natürlich!", stieß sie aus und sah sich gleich darauf erschrocken um. Doch sie war noch immer allein im Raum. "Das ist es!" Sie sprang auf, warf die Mappe zu und hastete zu Thortons Büro. Ohne Anklopfen riß sie die Tür auf.
Thorton sah sie erstaunt an. "Karen, ist was passiert?"
Karen hielt mitten in der Bewegung inne, als sie bemerkte, wie unbeherrscht sie reagierte. Sie suchte nach einer Antwort. "Ähh, ich wollte Ihnen nur schnell sagen, dass ich mir einen Kaffee hole."
"Und dafür rennen Sie fast die Tür ein?" Er sah sie zweifelnd an.
"Entschuldigen Sie, Sir." Ihre Gedanken rasten. "Ich werde fast vom Durst übermannt." Sie lächelte nervös.
Thorton zog die Stirn kraus. "Auf Kaffee?"
"Ja, Sir. Richtig, großen Kaffeedurst." Sie gestikulierte mit den Händen.
Erneut sah er sie irritiert an. "Aber ich dachte, sie trinken gar keinen Kaffee."
>Oh ha, ertappt.< Fieberhaft dachte sie nach. "Äh, stimmt, Sir. Dann werde ich mir halt nur einen Milchkaffee besorgen oder eine heiße Schokolade."
"Nun gut, wenn Sie meinen. Bitte."
"Danke, Sir." Karen schloss hastig die Tür hinter sich und verließ ihr Büro.  >Oh man, Mr. Thorton muss jetzt denken, ich sei irre oder so was geworden. Aber ich muss dem nachgehen. Ich muss mich beeilen.<